Verhalten ist über Modifizierungen am Erbgut vererbbar

Wie der Vater so der Sohn, wie die Mutter so die Tochter, aber auch wie der Großvater so der Enkel oder die Enkelin wie die Großmutter. Dass physiologische Merkmale über die DNA vererbt werden, ist seit Mendel (1822-1884) allseits anerkannt. Vorher bestand die Theorie von dem französischen Biologen Lamarck (1744-1829), dass Lebewesen durch häufigen Gebrauch bestimmte Aspekte stark ausprägen und diese dann weitervererben würden. Ein Fußballspieler, der im Laufe seines Lebens eine starke Beinmuskulatur aufgebaut hat, würde seinen Nachkommen demnach muskuläre Beine vererben. Wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, dass Lamarck gar nicht so falsch lag. Schon seit mehr als zehn Jahren liegen Ergebnisse der epigenetischen Forschung vor, die aufweisen, wie das Erbgut modifizierbar ist und wie diese Änderungen vererbt werden können.

Die Erkenntnisse der Epigenetik zeigen, dass Verhalten, Erlebnisse und Umweltfaktoren Gene an- und abschalten können. Dieses hat Auswirkung auf diverse Vorgänge im Körper, wie z.B. die Stressreaktion. Es wird angenommen, dass die Modifizierungen am Erbgut der Anpassung an die Umwelt dienen, was vorteilhaft für Wohlbefinden und Überleben ist. Einige Veränderungen entstehen im Laufe des Lebens und lösen sich auch wieder auf. Andere bleiben bestehen. Epigenetische Veränderungen betreffen auch die Keimzellen und können dadurch vererbt werden. Modifizierungen der DNA, die vererbt werden, werden Epimutationen genannt und kommen häufiger vor als genetische Mutationen.

In der Annahme, dass Nachkommen in der gleichen Umwelt aufwachsen wie die Eltern, statten Epimutationen, die aus den Lebenserfahrungen der Eltern resultieren, die Nachkommen bestmöglich mit Mechanismen für ihre Lebensumstände aus. In diesem Fall sind Epimutationen ein Vorteil. Der Fußballspieler vererbt seinem Sohn die Veranlagung zur Ausbildung von starken Beinmuskeln. Dieses ist für den Sohn überaus nützlich, wenn er auch eine sportliche Karriere einschlägt. In seiner Schulzeit sind aber eher die kognitiven Fähigkeiten des Sohnes gefragt. Die Beinmuskeln nützen ihm hier herzlich wenig. Die Vererbung zum Verständnis für Naturwissenschaften eines Ingenieurs an dessen Sohn ist in dieser Umwelt mehr von Nutzen. Hat sich die Umgebung also geändert, können Epimutation auch keinen Vorteil darstellen und sogar zum Nachteil werden.

Resultieren die Epimutationen aus traumatischen Lebensereignissen, wie z.B. der Erfahrung von häuslicher Gewalt, Verlust eines engen Angehörigen, sozialer Ausgrenzung oder gar dem Erleben von Krieg, Hungersnöten oder Flucht, können diese Traumata vererbt werden. In den Nachkommen werden bei ähnlichen Situationen oder sogar ohne Trigger erhöhte Stressreaktionen ausgelöst, die zu entsprechendem Verhalten führen. Dieser Ansatz bietet neue Verständnismöglichkeiten für die Entstehung psychischer Erkrankungen, wie Depressionen, Angststörungen oder Persönlichkeitsstörungen. Über Therapien, positive Erfahrungen und auch das Lösen eines Problems in der Generation der Vorfahren, können beeinträchtigende Emotionen und Verhaltensweisen kuriert werden (Bohacek & Mansuy, 2015).

Wir sind bei unserer Geburt also kein unbeschriebenes Blatt, sondern tragen die Stärken und Sensibilisierungen unserer Vorfahren in uns. Dieses Wissen gibt der Familiengeschichte eine ganz neue Bedeutung. Vielleicht haben auch Sie Lust etwas mehr über Sie selbst und Ihre geliebten und ungeliebten Eigenschaften herauszufinden. Die Eltern und Großeltern mal wieder zu Kaffee und Kuchen einzuladen bietet eine gute Möglichkeit dafür.

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Literaturverzeichnis

Bohacek, J., & Mansuy, I. (29. September 2015). Molecular insights into transgenerational non-genetic inheritance of acquired bahviours. Nature Reviews Genetics, 16, S. 641-652.